The Big Beehive

Als ich an diesem späten Augusttag am türkisblauen Wasser des Lake Louise aufbrach, war die Luft noch kühl und frisch, und die Gipfel, die über dem Tal aufragten, schimmerten im frühen Sonnenlicht.

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Der Weg begann sofort mit einem stetigen Anstieg durch den dichten Wald, und obwohl der Aufstieg ununterbrochen war, ließ sich ein angenehmer Rhythmus finden. Fichten und Tannen säumten den Pfad wie stille Begleiter, und hin und wieder öffnete sich der Wald und gab den Blick frei auf den See weit unten, dessen intensives Blau fast unwirklich wirkte im Kontrast zum dunklen Grün des Waldes.

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Nach mehreren Kilometern des Aufstiegs erreichte ich schließlich den Lake Agnes, ein wahres Juwel der Rockies, eingebettet in ein von schroffen Felswänden umgebenes Kar. Das Wasser des Sees lag vollkommen still da und spiegelte die gezackte Silhouette der umliegenden Gipfel. Am hinteren Ende des Sees erhoben sich die Felswände steil in Grautönen und Ockerfarben, und man konnte spüren, wie der See einst durch die Kraft uralter Gletscher geformt wurde.

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Am Ufer lag das berühmte Lake Agnes Teahouse. Obwohl es ein reizvoller Ort für eine Pause gewesen wäre, hielt mich die lange Warteschlange davon ab. Stattdessen suchte ich mir eine Bank am Ufer, um in Ruhe zu rasten und mich von der Szenerie beeindrucken zu lassen. Der See wirkte zeitlos, als ob er schon immer hier gelegen hätte, um das Schmelzwasser der Hänge zu sammeln und es in seinem tiefen, dunklen Becken zu bewahren.

Ab Lake Agnes änderte der Weg seinen Charakter. Zunächst führte er fast eben am Ufer entlang, sodass ich gemächlich gehen und die Spiegelungen im Wasser genießen konnte. Doch sobald ich den hinteren Teil des Sees erreichte, begann der steile Anstieg aufs Neue. Nun kam die wahre Herausforderung der Tour: die Serpentinen, die sich schweißtreibend nach oben zum Sattel zwischen dem Devil’s Thumb, 2.458 Meter hoch, und dem Big Beehive, 2.260 Meter hoch, wanden. Der Hang war unerbittlich steil, und jede Kehre schien das Ende zu versprechen, nur um die nächste Steigung zu enthüllen. Mit jedem gewonnenen Höhenmeter aber weitete sich die Sicht, und das Panorama der Berge wurde immer grandioser.

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Auf der gegenüberliegenden Seite des Tales dominierte der mächtige Mount Temple mit seiner pyramidenartigen Form, die Gipfelregion noch mit Schneefeldern bedeckt. Links davon erhob sich der gezackte Grat des Mount Lefroy, dessen Gletscher in gefrorenen Falten herabfloss, während ganz in der Nähe der imposante Mount Victoria den Victoria Glacier präsentierte, eine gewaltige Eismasse, die wie in Bewegung eingefroren ins Tal hinabströmte. Vom Aussichtspunkt am Big Beehive glänzten diese Gletscher im Sonnenlicht, die Spalten blau verschattet, und man konnte sich gut vorstellen, wie ihre langsame, unerbittliche Kraft das ganze Tal geformt hatte. Darüber hinaus zeichneten sich noch weitere Gipfel ab: der doppelgipflige Mount Whyte, der dunkle Mount Niblock und in der Ferne die schneebedeckten Silhouetten weiterer Riesen der kanadischen Rockies.

Als ich endlich den Sattel erreichte, war die Mühe des Aufstiegs sofort vergessen im Angesicht der überwältigenden Aussicht. Der Big Beehive selbst zeigte nun, wie er zu seinem Namen kam: Seine abgerundete Kuppel aus Fels, von dunklem Wald überzogen, erinnerte tatsächlich an einen gewaltigen Bienenkorb.

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Von dort führte der Weg zum Rand, wo sich plötzlich der Blick weit nach unten auf den Lake Louise öffnete. Aus dieser Höhe wirkte der See noch unwirklicher, ein schimmerndes, türkisfarbenes Juwel, eingefasst von Felswänden und Gletschern, seine Farbe so intensiv, als würde er von innen heraus leuchten. Der Anblick raubte mir den Atem, und ich fühlte mich gleichzeitig klein und doch tief verbunden mit der Schönheit dieser Berge.

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Die Wanderung auf den Big Beehive mit ihren 10,1 Kilometern und 736 Höhenmetern hatte mir einiges abverlangt, besonders beim steilen Schlussanstieg, doch sie belohnte mich hundertfach.

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Was mir bleibt, ist nicht nur die körperliche Anstrengung oder die stille Schönheit des Lake Agnes, sondern vor allem die überwältigende Größe der Berge und Gletscher, die schweigend über meinem Weg wachten, geformt von der Zeit zu Gestalten von Kraft und Anmut.

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