Cleveland Park – Capilano Bridge

Als ich vom Cleveland Dam aufbrach, war die Morgenluft noch kühl, und ein dünner Schleier von Nebel hing über der Wasseroberfläche des Stausees. Das Wasser hinter dem Damm lag ruhig und spiegelglatt, es reflektierte die dichten Baumkronen der evergrünen Wälder, die wie stille Wächter an den Hängen der North Shore Mountains standen. Das donnernde Rauschen des abgelassenen Wassers unterhalb des Damms war schon von Weitem zu hören, ein kraftvolles und stetiges Geräusch, das mich an die gewaltigen Naturkräfte erinnerte, die dieses Tal geformt hatten. Von dem Aussichtspunkt ließ ich meinen Blick noch einmal über den Stausee bis zu den schneebedeckten Gipfeln in der Ferne schweifen, dann wandte ich mich dem Trailhead zu, um meinen Lauf zu beginnen.

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Der Shinglebolt Trail führte mich hinein in den Wald, sein weicher Boden gab bei jedem Schritt leicht nach, und sofort umgab mich die Stille der mächtigen Zedern und Douglasien. Die Luft war schwer vom Duft nach feuchter Erde und Moos, und gelegentlich brach ein Sonnenstrahl durch das dichte Blätterdach, zeichnete goldene Streifen auf den Waldboden und ließ Farnwedel und Sträucher aufleuchten. Der Weg senkte sich ab und wand sich in Kurven, ohne jede Eile, und ich folgte seinem Rhythmus, passte meinen Schritt den Wurzeln und Steinen an. Manchmal wurde das Gelände steiler und verlangte kräftigeres Zupacken, doch jedes Mal belohnte mich die Ruhe des Waldes. Es war, als ob jede Biegung eine neue Nuance von Grün offenbarte – Farn, der sich entrollte, glänzende Salal-Sträucher im Halbschatten, und Baumstämme, die vom Moos wie von einem zweiten Kleid überzogen waren.

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Nach einer Weile wurde das Rauschen von Wasser lauter, bis ich das Capilano River Hatchery erreichte. Hier öffnete sich der Wald ein wenig, und es zeigte sich ein Ort, an dem sich natürliche Strömung und menschliche Fürsorge begegneten. Ich hielt inne, um die Strömung in den Fischleitern zu beobachten, in denen später im Jahr die Lachse gegen die Fluten ankämpfen würden. Auch ohne die Fische war der Ort voller Leben: Wasser, das gegen die Betonwände prallte, Gischt, die in die Luft stieg, und Familien, die fasziniert das Schauspiel des Flusses betrachteten. Das Hatchery erinnerte mich daran, wie zerbrechlich das Gleichgewicht zwischen Wildnis und menschlichem Eingreifen ist, und wie wichtig es ist, die Reise der Lachse trotz des Damms weiter zu ermöglichen.

Von dort setzte ich meinen Lauf fort, nun dem Fluss folgend, der wie ein silbernes Band durch das Tal floss. Über kleine Holzbrücken und entlang von Uferpfaden trug mich der Weg, begleitet vom stetigen Murmeln oder Donnern des Wassers, das mal in der Ferne, mal ganz nah unter mir rauschte. Oft verlangsamte ich unwillkürlich meinen Schritt, nur um durch Lücken im Wald auf die gleißende Strömung hinabzuschauen – ein Schauspiel von roher Kraft und zugleich flüchtiger Schönheit. Das Gelände wechselte ständig: kurze Anstiege, die meinen Atem schwerer werden ließen, gefolgt von ebenen Passagen im Schatten der hohen Bäume.

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Schließlich näherte ich mich der Capilano Suspension Bridge, einem Wahrzeichen der Region. Noch bevor ich sie sah, hörte ich das Echo von Stimmen, das Lachen und die Rufe der Besucher, die durch den Wald getragen wurden.

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Dann öffnete sich der Weg, und dort lag sie – die Brücke, ein schmaler Bogen aus Stahl und Holz, hoch über der Schlucht des Capilano River gespannt. Sie schwang leicht im Wind, zugleich kühn und fragil, und lud mich ein, die Grenze zwischen den beiden Ufern zu überschreiten. Vorsichtig setzte ich den Fuß auf die Planken, spürte das sanfte Beben unter meinen Sohlen und blickte hinab in die Tiefe, wo das Wasser tosend seinen Weg durch das Gestein fraß. Der Gegensatz war überwältigend: unten die rohe Wildnis, oben die menschliche Kühnheit, die uns erlaubte, fast schwerelos über das Tal zu schweben.

Der Übergang über die Brücke war der natürliche Höhepunkt meiner Strecke. Vom stillen Wasser hinter dem Cleveland Dam über die grüne Kathedrale des Waldes am Shinglebolt Trail, über den lebendigen Ort am Hatchery, bis hin zu diesem schwankenden Band über der Schlucht – jeder Abschnitt war ein Kapitel für sich.

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Gemeinsam aber erzählten sie eine einzige Geschichte: die des Wassers, das sich vom ruhigen See zum reißenden Fluss verwandelt, das den Zyklus des Lachses bestimmt und über Jahrtausende die Landschaft geformt hat. Als ich die Brücke verließ, schloss sich der Wald wie eine schützende Hand um mich, und ich wusste, dass ich nicht nur eine Strecke durchlaufen hatte, sondern eine Erzählung der Natur selbst.

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